Kundenrückgewinnung: Altes Thema – neue Potenziale
- Sabine Ursel

- 15. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Okt.
Kundenrückgewinnung als Thema in einem Blogartikel? Ja, das muss sein! Mich erstaunt es nämlich nach vielen Jahren des Schreibens über Einkaufs- und Vertriebsbelange, dass dieses Potenzial in vielen Unternehmen noch immer stiefmütterlich behandelt wird. Warum eigentlich? Dabei schlummert doch gerade hier viel Potenzial. Um das zu erkennen, muss man nur einmal kurz in sich gehen.
Von der Beschwerde...
Zur Einleitung eine frische Erfahrung, die die Kraft der Kundenrückgewinnung im Privatleben belegt. Wann haben Sie sich zuletzt bei einem Unternehmen, in einem Restaurant oder in anderer Umgebung über ein Produkt oder den Service beschwert? Ich habe es neulich mal wieder via Mail getan. Die Rechnung war nicht korrekt, was ich erst daheim realisiert hatte. Meiner Unzufriedenheit hatte ich damit Ausdruck verliehen (tat gut), von einer Reaktion ging ich nicht aus. Eh nicht (mehr?) üblich, so meine Annahme. Das Essen war leider gut, aber Bekannten hatte ich bereits brühwarm auch von der negativen Erfahrung berichtet.
... zur positiven Überraschung
Dann kam der Überraschungseffekt! Zwei Tage nach meiner (moderaten) Beschwerdemail meldete sich das Wiesbadener Restaurant zurück, erst via Mail, dann auch telefonisch. Man bot mir tatsächlich freundlich und wertschätzend eine „Lösung“ an. Ich war baff, besser gesagt: umgehend wieder Feuer und Flamme. In meinem psychischen Kosmos hatte sich unmittelbar der Schalter umgelegt. Klasse, denn nun kann ich dort wieder guten Gewissens reservieren. Und ja, auch das habe ich meinen Bekannten mitgeteilt. Lustigerweise hatte ich einige Tage vor besagtem Abendessen bereits einen Artikel über den vielerorts unterschätzten Wert von Kundenrückgewinnung geplant ...
Eigenes Verhalten vs. Erwartungshaltung
Nun sollten wir diesen vermeintlich banalen Fall (der auch Ihrer sein könnte) ins B2B-Umfeld übertragen. Allerdings ist dabei eigenes Hinterfragen erforderlich. Wie reagieren Sie beispielsweise auf Einkäuferseite, wenn Sie mit dem Handeln eines Lieferanten unzufrieden sind? Nehmen Sie es schweigend hin und wechseln Sie dann zum nächsten Anbieter? (Ginge eventuell bei leicht substituierbaren C-Artikeln ...). Werden Sie ungnädig und drohen Sie sogar? Können Sie es sich wirklich leisten, auf den Tisch zu hauen und die Gegenseite einzuschüchtern? Oder: Reklamieren Sie in moderatem Ton mit qualifizierten, belegbaren Argumenten? Eine „Wiedergutmachung“ wäre in diesem Fall gut möglich, sofern (auch) die Gegenseite ihr Handwerk beherrscht. Also: Wie sollten Sie (am besten!) in kniffligen Situationen vorgehen – und was erwarten Sie von Ihrem Gegenüber?
Zur Verkäuferseite: Wie regieren Sie, wenn Ihr Kunde sich beschwert – in welcher Form auch immer? Egal, ob berechtigt oder nicht? Zögern Sie Ihre Reaktion bewusst hinaus? Schieben Sie die vermeintliche Unbill auf andere Personen im eigenen oder im Kundenunternehmen? Oder: Regieren Sie rasch? Bieten Sie Gespräche und eine mögliche Lösung an? Schaffen Sie es, die andere Seite positiv zu überraschen und somit (wieder) für sich einzunehmen? Also: Wie sollten Sie (am besten!) in kniffligen Situationen vorgehen – und was erwarten Sie von Ihrem Gegenüber?
Verweis an dieser Stelle: In meinem Blogartikel vom 10. April 2025 bin ich zum Thema Wertschätzung auf die vereinfachte „Formel“ des Kant’schen Kategorischen Imperativs eingegangen: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“
Reflektieren und antizipieren hilft im beruflichen Kontext ebenso wie im privaten. Verständnis für die andere Seite ist die Basis für Reklamationsmanagement und Kundenrückgewinnung. Gefragt sind Empathie und handlungssicheres Anwenden der richtigen Strategien – egal, ob Beschwerden berechtigt sein mögen oder nicht. Kunden und Lieferanten wollen sich in jeder Situation als Individuum wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Stichwort: psychologischer Kosmos... 😉.
Ökonomischer Ansatz
Vom „psychologischen Ansatz“ zu faktenbasierten, ökonomischen Aspekten. Fakt: Es ist erheblich günstiger, unzufriedene Kunden zurückzugewinnen, als neue Kunden zu akquirieren. Ich beziehe mich u.a. auf eine Studie der Universität Mannheim (Institut für Marktorientierte Unternehmensführung - IMU):
Manager können über eine Steigerung der Rückgewinnungsperformance die finanzielle Gesamtperformance des Unternehmens signifikant steigern.
Die Rückgewinnungsperformance wird dabei von formellen Elementen, gemessen als Rückgewinnungssteuerung, und informellen Elementen, gemessen als Rückgewinnungskultur mit den Aspekten Kundenorientierung, Mitarbeiterautonomie und Fehlertoleranz, beeinflusst.
Bei Rückgewinnungssteuerung und Rückgewinnungskultur ist eine Abstimmung beider Elemente für den Erfolg von Unternehmen besonders bedeutsam.
Kundenrückgewinnung lässt sich berechnen
Das Anspruchsniveau ist über viele Jahre hinweg in den meisten Branchen stark gestiegen. Das brachte zugleich eine höhere Beschwerdequote mit sich, ebenso die Bereitschaft, die Kundenbeziehung zu beenden, zumindest sofern sich ein anderer Anbieter finden ließ. Aber: „Viele Kunden wären bereit, ihre Entscheidung zu korrigieren, falls das Unternehmen schnell und angemessen in einen Dialog mit ihnen tritt“, so Matthias Neu in seinem Fachbuch „Erfolgreiche Kundenrückgewinnung – Verlorene Kunden identifizieren, halten und zurückgewinnen“ (Verlag Springer Gabler).
Es gilt, den Customer Lifetime Value (CLV) als wichtige Kennzahl heranzuziehen. Diese misst den langfristigen Wert eines Kunden für ein Unternehmen. „Die Formel zum CLV setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Der zu ermittelnde Kundenwert besteht einerseits aus den vergangenheitsbezogenen Kriterien einer beendeten Beziehung und andererseits aus den zukunftsbezogenen Kriterien einer reaktivierten Beziehung“, wie Matthias Mau und Jana Günter in ihrem Buch eingehend darlegen. Merke: Kundenrückgewinnung (Aufwand, Erfolg) lässt sich durchaus berechnen. Das Ganze bedarf entsprechender Strategien, mit denen sich unternehmens- bzw. personalpolitische Maßnahmen steuern lassen, beispielsweise „dialogische Konzepte für die Online- und Offline-Kommunikation“ (siehe speziell hierzu Ralf T. Kreutzer, Verlag Springer Gabler).
Speerspitze entsprechend schulen
Um die gesamte Bandbreite von Reklamationsmanagement und Kundenrückgewinnung zu verstehen, bieten adäquate Fachbücher eine erste Grundlage. Um in der Praxis nachhaltig erfolgreich zu sein, sollten passende Trainings für alle eingebundenen Mitarbeitenden auf die Agenda gehoben werden.
Wie geht das Best Practice Institut das Thema Kundenrückgewinnung an?
Bei BPI heißt es:
„Die Speerspitze im Unternehmen ist der Vertrieb. Erst wenn er verkauft, können alle Prozesse im Unternehmen durchgeführt werden – und erst dann folgt das Geldverdienen ... Wenn wir über Vertrieb nachdenken, dann decken wir die gesamte Bandbreite ab.“ Stichworte: Telefonakquise, Neukundenakquise, virtuelle Kommunikation, Stakeholder-Analyse, Marketing-Positionierung und vieles mehr.
Die wohl wichtigste Aussage: „Kunden kaufen keine Produkte – sie kaufen Nutzen!“ Daraus folgt: Es reicht nicht, möglichst viele Informationen über die eigenen Produkte an den Mann/die Frau zu bringen. Wenn die Dienstleistung nicht (mehr) stimmt und der Kunde sich Wettbewerbern zuwenden könnte, gilt es rasch adäquat zu handeln. Überraschen Sie! Begreifen Sie Reklamationen als Chance. Kundenrückgewinnungsmanagement ist eine Königsdisziplin.
Sabine Ursel, 17. Oktober 2025, www.sabine-ursel.de



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